„Und was macht dann den Unterschied? Die Marke.“

Wir sitzen in einem gemütlichen Restaurant an einem groben Holztisch. Es riecht nach Holzrauch – hier wird drinnen gegrillt. Auf dem Tisch steht kühles Craft-Bier und gut Gegrilltes, und mir gegenüber gestikuliert der tätowierte Arm eines Vollblut-Kreativen – Hansjörg Fuhrken. Ich kenne Hansjörg aus unserer gemeinsamen Zeit bei der WPP Agentur Wunderman. Damals war er als Chefkreativer verantwortlich für zwei Standorte der Digitalagentur aus New York. 

Hansjörg Fuhrken

Hansjörg. Toll, dass du da bist und dass wir hier wie früher über Marken und Momentum diskutieren können.

Alte Männer sprechen über Marke, meinst du.

So alt sind wir gottseidank noch nicht. Also ich jedenfalls.

(lacht) Die paar Jährchen, die du jünger bist, siehst du dafür älter aus.

Ah, es ist wirklich wie früher…. Also los geht’s.
Ich finde Marke wird immer dann besonders spürbar, wenn wir ein Markenversprechen formulieren. Also wenn die Marke ab jetzt mit diesem Versprechen nach außen treten soll. Da entsteht das erste Mal diese Bewegung, die wir Marken Momentum nennen…

…richtig. Am Ende ist es wichtig, wofür du stehst und was du der Welt da draußen versprichst.
Also erstmal musst du rausfinden was dein ganz intrinsischer Markenkern ist. Und dahin kommt man, wenn man mit dem Kunden in den Dialog geht. Wenn du rausfindest was ihm wichtig ist. Das haben wir damals, als buerofeuerfest, auch so gemacht. Wir haben mit allen Abteilungen unserer Kunden intensiv diskutiert. Wir hatten die HR da, den Vertrieb da und das Marketing da. Jeder hat ja eine andere Sicht auf das Unternehmen – und die Kunden ebenso. Man robbt sich dann langsam dahin, verdichtet und merkt, wo es gemeinsame Identität gibt, wo es aber auch Unterschiede gibt. Und dann haben wir daraus einen gemeinsamen Kern formuliert.

Wir gehen da ein bisschen anders ran als die Meisten.  Wir schälen den Kern natürlich auch heraus. Aber wenn man den Markenkern schon per Modell so zentral und überwichtig macht, in der Mitte der Zielscheibe in dunkelrot markiert… Dann starren Menschen auf diesen Begriff, der plötzlich alles enthalten muss.. und dann einigt man sich zu oft auf was Generisches.

Ja da hast du recht, dann kann es sehr artifiziell werden.

Eben, wir machen es halt etwas intuitiver, semantischer, kreativer. Im Grund aber auch nur ein anderer Weg zum Ziel.

Wir haben die Wahrheit des Kerns immer sehr eng als Satz formuliert und dabei um jedes Wort gerungen. Es hilft einem ganz klar zu werden. Aber wir geben ja nicht nur nen Zettel mit dem einen Satz ab. Wir starten mit unseren Kunden gemeinsam von da aus zurück in die Kommunikation. Marke entfaltet sich ja erst im Alltag.

Wir ringen auch um Formulierungen, klar. Allerdings lasse ich mir die Form frei, Es kann ein Satz sein, ein Wort oder ein Absatz.

Ach, dir ist es doch nur zu anstrengend das mal richtig zu machen… (lacht)
Aber im Ernst, im Grunde ist die Form Wurst, Hauptsache es steht was Schlaues da. Wir haben dann aber auch was dazu gebaut, zum Beispiel ein Symbol – ein Baum – und das ist ja nichts anderes als eine Metapher. Oder besser gesagt: die Idee einer Marke. Welche Bereiche der Marke stehen stabil, wo wächst es, wo darf es auch wuchern. Daran kann man dann vieles verdeutlichen und vor allem auch spürbar machen. Und dann kann man aus dieser zentralen Idee nötige Ableitungen machen, wie muss man ein Personalgespräch machen, wie redet die Marke mit den Kunden, wie muss die Werbung aussehen. Am Ende passen die Dinge zusammen und zum Unternehmen.

Das mit der Idee einer Marke finde ich schön formuliert. Weil wenn man versucht, diese Idee Wirklichkeit werden zu lassen, dann entsteht Bewegung. Wir nennen das Marken-Momentum. Du kennst ja dieses Gefühl, wenn eine Idee so richtig Fahrt aufnimmt und nicht mehr zu stoppen ist….

Klar. Das haben wir zwei ja auch mehrfach zusammen erlebt. Auch in Kampagnen. Du entdeckst da diese Idee und teilst Sie mit den Leuten. Und du merkst, wie die das dann annehmen und denkst „Passt!“.
Und dann laufen alle los. Marke ist immer eine Idee. Du kannst Leute hinter dieser versammeln, und sie nehmen sie dann auf und entwickeln sie zu einer neuen, eigenen Qualität. Nur die Idee alleine hilft dir nämlich nichts, du brauchst Leute im Unternehmen, die in einer Komplizenschaft das Ding nach vorne treiben. Dadurch fängt die Idee und damit auch die Marke erst an zu leben.

„Und eine Marke ist auch irgendwo eine wirklich gute Idee. Du kannst Leute hinter einer Idee versammeln, und sie nehmen sie dann auf und entwickeln sie zu einer neuen Qualität.“
Hansjörg Fuhrken

Schau dir einfach mal Start-ups an – da gibt es anfangs nur diese eine, oft noch unbewiesene Idee. Und eine eingeschworene Gemeinschaft versucht sie mit Leben zu füllen: Die Gründer, Freunde, irgendwer den sie kennen. Da gibt es ja sogar die Commitments, dass die sagen: „die Kohle ist mir erstmals nicht so wichtig – sondern mich zündet diese Idee an“.

Und das ist doch das, was uns in der Agenturwelt alle verbindet. Das ist der Moment den wir lieben. Da fängt es an, in den Fingerspitzen zu knistern und dann fangen die Anderen an, den Ball aufzunehmen und es stellen sich die Haare auf. Das ist der Moment wo etwas großartig wird.

Den gibt es auch für Marken. Kann ich bezeugen. Gerade letzte Woche hat mir eine sehr begeisterte CEO erzählt, dass ihre Lösung von Analysten erstmalig aus der Verfolgergruppe zur Leadergruppe promoted wurde. Und dass die neue Marke da ganz gehörig mit zu beigetragen hat. Das ist einfach dieser Moment, wo du merkst „Hey jetzt beginnt hier eine echte Bewegung.“

Klar das ist für uns befriedigend, wenn du merkst, wie etwas funktioniert. Es ist einfach geil.

Was war denn der Moment, wo du dieses Momentum am meisten gespürt hast?

Also professionell ist das zum Beispiel ein Grund, warum ich so gerne und viel gepitched habe. Weil da eine Idee ganze Teams anzünden kann. Und der zweite Moment ist dann beim Kunden, wenn der anfängt mitzugehen und sagt: „Wie cool, da haben wir bisher überhaupt noch nicht dran gedacht. Aber ja…“ Und wenn du das für ein ganzes Unternehmen machen kannst, dann ist das ja nochmal besser. Ich finde, es gibt nichts Schöneres. …im Job.

Wir haben leider beim Thema Marke manchmal so einen Full-Stop in der Geschäftsführung erlebt. Wo der Funke ausgelöscht wurde. Wir mussten ja oft Konzepte, die wir bottom-up aus den Teams und deren täglichem Erleben heraus entwickelt haben erst ganz am Ende „oben“ präsentieren. Dort werden diese Dinge aber meistens ganz anders und in anderen Zusammenhängen erlebt. Da heißt es dann gerne: „Von wegen Baum! Wir sind ein Schnellboot!“. Da interferieren gerne starke Egos in Fakten.

Deswegen machen wir Marke immer im Dialog mit Geschäftsführung oder Vorstand. Anders geht es nicht. Aber es ist halt oft kein brennendes Problem.  Eine schwache Marke ist wie ein kleiner nerviger Stein im Schuh. Gehen kann man trotzdem. Und man tut es wirklich jedes Mal solange, bis der Schmerz zu groß wird.

Ich versteh das ja auch. Da gibt es 200 Verantwortlichkeiten und Dinge zu tun und selten bleibt die Zeit mal stehen, um sich mit den grundsätzlichen Sachen zu beschäftigen. Man denkt man muss immer weiterlaufen. Und läuft. Dabei wäre es ohne diesen verdammten Stein doch so viel leichter.Aber am Ende gilt ja für alle: Die Zukunft von Marken ist nicht in Stein gemeißelt, auch wenn das viele fälschlicherweise so annehmen.

Seltsamerweise ist das so.

Dabei ist lebendige Marke so mächtig. Du kannst Leute damit motivieren, Kunden motivieren, am Ende natürlich mehr verkaufen, höhere Preise verlangen.

„Eine schwache Marke ist wie ein kleiner nerviger Stein im Schuh. Gehen kann man trotzdem. Und man tut es wirklich jedes Mal solange, bis der Schmerz zu groß wird.“
Pascal Lauscher

Wir leben in einer satten Welt, in der alles gleich ist. Oder mindestens fast gleich. Das sind oft Nuancen. Und da ist Marke halt der Differenzierungs- und Orientierungsfaktor. Daher kann eine Marke unterstreichen, herausstellen, emotionalisieren. Und wenn du hältst, was du versprichst, konstant, dann hast du einfach bessere Karten.

Schau die Autos an. Wir hatten ja Ford als Kunde. Und ich liebe es Ford zu fahren. Krasse Fahrwerke. Wirklich gut. Und wir hatten diese hippe britische Marke als Kunde – und gerade am Anfang war bei denen wirklich nicht alles Gold was glänzt. Aber die Marke hatte volle Strahlkraft. Dann haben sich die Leute eben einen flotten Engländer gekauft und keinen Ford, obwohl der faktisch das bessere Auto war. Inzwischen hat die Qualität bei den Briten mit dem Markenversprechen gleichgezogen. So eine Chance kann dir nur eine gut positionierte Marke geben.

Aber Hersteller ist ja einfach. Schau mal in den Handel. Da hast du nicht mal eigene Produkte.

Und alle anderen haben genau die Selben..

Genau. Im Grunde überall derselbe Kram. Was ist dein Produkt? Es ist eine Dienstleistung bei der sich nur Nuancen überhaupt unterscheiden können. Da ist die Herausforderung deutlich höher – weil es ist am Ende nur noch ein Gefühl, das du verkaufst. Gings mir beim Einkauf gut? Hab ich eine gute Entscheidung getroffen? Wurde mir geholfen?

Aber das ist doch genau ein wesentlicher Mehrwert von Marke. Das es nicht rein um rationalen Nutzen geht, sondern um genau diesen emotionalen Mehrwert.

Ja. Nur ist es einfacher einem physischen Gegenstand ein Label anzuheften, als einem „Nichts“. Im Handel gibt es natürlich auch Reales, Greifbares wie z.B. den Raum, aber gehst du digital, dann wird alles nur noch artifiziell.  Genau da ist Marke dann einer der gewaltigsten Erfolgsfaktoren.

Handel ist natürlich eine oft sehr unsichtbare Dienstleistung. Meistens willst du mit niemanden sprechen, die ganze Logistik und Co ist dir da auch egal.  Da bleibt fast nur noch das Markenversprechen und der Raum. Und beides repräsentiert und nimmt vorweg, was du als Leistung später bekommen wirst.

Da hilft es nur noch, sich in die Kundenschuhe zu stellen. Es ist einfach viel wichtiger nicht nur sich selbst anzuschauen, also wie ist der eine Satz im Kern der Marke und so weiter… Es geht vor allem um die Ausprägungen der Marke beim Kunden. Hashtag customer centricity. Was macht das mit dem Kunden, wenn wir alle grüne Socken tragen, oder was macht das mit dem Kunden, wenn wir das Licht etwas heller machen? Und online gibt es dann gar keine Menschen mit Socken mehr. Ich finde das ganz spannend, wie man für Kunden einen digitalen Wohlfühlfaktor schaffen kann.

Vor allem geht es da ja um Convenience. Dieses ganz einfache Kombi von Bequemlichkeit und Aufgehoben fühlen. Das ist bei Amazon beispielsweise das wesentliche Markenelement.

Ich finde es auch spannend, wenn nichts mehr bleibt von dem, was früher mal als das Repräsentativ der Marke galt…

Das Auto vom Chef und die Hochglanz-Imagebroschüre..

Richtig. Und der Messestand und die Visitenkarte… Stattdessen haben wir heute eine Milliarde an Micro-Touchpoints, an Mini-Momenten. Und deine Markenbotschafter werden ebenso kleinteilig. Da gibt es Menschen, die sich nur noch um Adwords kümmern. Diese kleinstmögliche Form der Anzeige. Und wieder andere kümmern sich ausschließlich um SEO. Und viele Marketers wissen gar nicht wer das ist, dabei erstellen die SEOs einen Großteil deines wahrgenommenen Contents. Mit zum Teil ganz anderer Motivation dahinter.

Früher hat man alle gefühlt fünf Touchpoints durch simple formale Vereinheitlichung auf Marke gebürstet. Und eine knackige Werbeaussage im Sinne der Marke darüber gesetzt.
Aber das ist ja glücklicherweise schon lange passé. …ist es doch, oder?
Bei Ogilvy haben wir es mal 360 Grad genannt, jetzt heißt es Multichannel. Oder Omnichannel? Das können wir Agenturen doch seit über 20 Jahren. Ich finde es aber auch schwierig, dass sich Marketingabteilungen immer weiter aufblähen. Es ist ja alles soooo kompliziert. Und so werden immer mehr zu Experten für kommunikative Mikro-Nischen. Gleichzeitig werden die Budgets für die Agenturen nicht größer, sondern kleiner, weil ja auch in allen Nischen irgendein Geld ausgegeben werden muss. Nur um da auch mitreden zu können. Und am Ende wird’s aus Kostengründen selber gemacht.
Aber eben oft nicht gut.

Oh ja, es gibt diesen Trend zum Insourcing. Ein Großteil der Kommunikation entsteht heute im Unternehmen und nicht bei der Agentur. Und was da entsteht ist übrigens meist formlos. Es wird in irgendein Template geworfen, zum Beispiel bei den eMails aus der Automatisierung, oder in einen Blogpost.  Kann man ja schnell selbst machen – ist ja nur Sprache…
Ich denke mir immer, dass ohne Form der Inhalt doch noch viel wichtiger wird. Da wird so viel produziert, ohne das große Ganze der Marke zu verstehen. Und das ist, meiner Meinung nach, ein großer Fehler.

Eine Teilantwort ist ja automatisiertes Marketing. Da kann man immerhin bei den automatischen Dingen als Verantwortlicher dafür sorgen, dass was Vernünftiges drin steht. Man muss sich halt darum kümmern, aber dann kann man damit eine Menge lösen.
Wir haben neulich eine Kampagne gemacht, mit Geofencing und automatischen Push-Nachrichten zum richtigen Zeitpunkt – da spielt im Prozess Kreation im Kundenerleben gar keine Rolle mehr. Die Nachricht selber ist nicht kreativ – ich brauch scheinbar nur ein bisschen automatisierte Verteiler-Klugheit.

„Da wird so viel produziert, ohne das große Ganze der Marke zu verstehen. Und das ist, meiner Meinung nach, ein großer Fehler.“
Pascal Lauscher

Aber! Das können alle heute. Alle kaufen diese Modelle, diese Technologien. Und dann zeigen alle diesem einen armen Kunden gleichzeitig die selben Produkte. Die Folge: Waschmaschinen-Overflow-Error.

Absolut, das hab ich zuletzt auch in einem Vortrag erzählt. Je professioneller das digitale datengetriebene Marketing wird, desto weniger wird es zum Vorteil für einzelne Unternehmen. Und diesen Punkt haben wir heute schon erreicht.

Und was macht dann noch den Unterschied? Richtig. Die Marke!

Hansjörg. Wir sind uns vollkommen einig. Wahrscheinlich das erste Mal, seid wir uns kennen.  Und mein Bier ist auch leer.

Dann machen wir jetzt dieses Ding da aus und bestellen uns noch eins.

So machen wir es.

Bei Wunderman war es zwischen uns Zwei nicht immer so harmonisch wie hier am Holztisch. Aber so ist das, wenn man um Ideen ringt. Nur aus Diskurs entsteht Neues und nur so entsteht Qualität. Unser Gespräch retroperspektiv betrachtet, war für mich der Gedanke, dass in einer gut gemachten Marke auch die Kraft einer Idee steckt, interessant. Nicht weil mir das nicht irgendwo klar war, sondern weil man diese Kraft ganz bewusst nutzen kann, um Momentum noch besser und einfacher zu erzeugen.  Oder wie es Hansjörg sagt: „Mit einer Idee anzünden“.